Leseprobe 2. Teil
Simbir Elhof erwachte, als ein Tautropfen mitten auf seiner Nase landete. Die Schwärze der Nacht war einem trüben Licht gewichen. Es war Tag geworden an der dunkelsten Stelle des Feenwaldes und Simbir hatte tatsächlich die erste Nacht allein im Wald überstanden.
Er schob die Blätter und Zweige von sich und stand auf. In seinem Bauch grummelte und rumorte es – Simbir hatte Hunger. Doch hatte er weder eine Küche, in der er sich etwas kochen konnte, noch eine Vorratskammer, die reichlich gefüllt war!
So verließ er seine Schlafstätte, die später sein Haus werden sollte, und trat in das dichte Unterholz des Waldes hinein. Es musste hier Beeren geben und Pilze.
Irgendwo würde er schon etwas zu essen finden. Und wenn es die Rinde eines Baumes war. Selbst bei diesem Gedanken lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Sehnsüchtig dachte er an sein Elternhaus, wo jetzt sicher gebratene Maden und Beerengelee auf dem Tisch standen. Wieder grummelte sein Magen. Oh, warum konnte er nicht wie die anderen Goblins sein? Dann hätte er noch ein Bett, einen gefüllten Bauch und … Simbir Elhof war noch gar nicht weit gelaufen, als er einen Schrei hörte. Er spitzte die Lauscher und rief: »Hallo? Ist da jemand?« Alle Gedanken an etwas Essbares waren verschwunden.
Ringsumher war es still. Nicht einmal die Vögel sangen an diesem Morgen.
Hatte er sich das eingebildet? Vielleicht war er noch nicht ganz wach? Das musste es sein. Ein Überbleibsel eines blöden Traumes.
Er ging weiter und entdeckte einen Strauch voll mit süßen, faustgroßen Heidelbeeren, die genauso lila glänzten, wie er selbst.
Sein Bauch knurrte beim Anblick der Köstlichkeiten und so begann Simbir eilig die Früchte zu sammeln.
»Hilfe!«, es klang genau wie vorhin, nur viel lauter.
»Potz Blitz! Irgendeiner ruft doch da!« Hastig schluckte er die Beeren, die er bereits in seinem Mund gesammelt hatte, herunter.
»Hallo? Ist hier jemand?« Er stellte seine Ohren auf, wie es Kaninchen manchmal tun, konnte aber nichts hören. »Bitte rufe noch einmal«, bat Simbir Elhof.
Ein Zweig knackte hinter ihm. Simbir hielt den Atem an. Da, wieder!
Erschrocken fuhr er herum. »Wer ist da? Bleib stehen, oder ich … ich werde dich …«
»Was wirst du tun?«
Diese Stimme … Simbir kannte sie. Das war doch das kleine Gespenst von gestern Abend! »Was tust du denn hier?«
»Ich wollte nur einmal nachschauen, ob du die Nacht gut überstanden hast.«
Eine Gestalt, kaum größer als Simbir Elhof selbst, schwebte hinter einem Busch hervor.
Es war tatsächlich ein kleiner Geist. Irgendwie sah er aus, als hätte er sich ein Bettlaken übergeworfen, fand Simbir.
Die Augen des Gespenstes waren groß und der Mund war so breit, dass er sich bequem eine Banane hineinstecken konnte. Quer versteht sich. Aber die Hände! Die waren so winzig, dass sich Simbir fragte, wie es wohl essen oder gar einen Stift halten wollte.
Wahrscheinlich tat er das alles mit seinen Zauberkräften, überlegte Simbir und war ein wenig traurig, dass er im Feenwald der Einzige ohne solche Kräfte war. Aber ein ausgestoßener Goblin hatte nun mal kein Anrecht darauf.
»Hast du mich jetzt lange genug angestarrt?«, fragte der Geist.
»Ja. Und ich habe die Nacht gut überstanden«, sagte Simbir schnell, denn es war ihm unangenehm, dass er den Besucher so angegafft hatte. »Aber das war nicht dein Verdienst«, schimpfte er. »Es war furchtbar kalt und Angst hatte ich auch.«
»Das tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt. Ehrlich.« Das Spukgespenst kam auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Was willst du heute machen? Wollen wir vielleicht miteinander spielen? Ich bin übrigens Falla.« Das Gespenst deutete eine Verbeugung an.
»Und ich bin Simbir Elhof. Aber das weißt du ja bestimmt schon. Und leider habe ich heute keine Zeit mit dir zu spielen. Ich muss mein Haus fertig bauen, damit ich heute Nacht nicht wieder draußen schlafen muss.« Simbir pflückte eine Heidelbeere und schob sie sich in den Mund.
Ein erneuter Hilferuf durchbrach das Schweigen.
»Was war denn das?«, erkundigte sich der kleine Geist aufgeregt und schwebte sogleich ein Stück höher.
»Das?« Simbir drehte sich in die Richtung, aus welcher der Schrei gekommen war. Stocksteif stand er da. »Das ist meine andere Aufgabe. Herauszufinden, wer da ruft. Ich glaube, derjenige braucht meine Hilfe«, erklärte er flüsternd.
»Du meinst: Unsere Hilfe«, antwortete Falla rasch.
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